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Sicht eines Pflegeheimbewohners

Autorenbild: Jan HoneggerJan Honegger

Ich habe versucht ein realistischer Alltag aus der Sicht eines Bewohners von einem Alters- und Pflegeheim zu schildern. Die Ausgangslage ist diese, dass wieder einmal jemand krankheitshalber ausgefallen ist. Wie sich das auf den Tag auswirkt und wie viel der Bewohner für einen monatlichen Preis von ca. 8‘000.- CHF bekommt.


Ich liege in meinem Bett als jemand an die Türe klopft und ins Zimmer kommt. Meine Bewegung ist stark eingeschränkt, da ich 86 Jahre alt bin und einige chronische Erkrankungen habe. Die freundliche Pflegende begrüsst mich, fragt wie ich geschlafen habe und das es Zeit ist aufzustehen. Ich habe keine Ahnung welche Zeit und was für ein Tag es gerade ist. Diese Informationen gibt sie mir kurz darauf preis, während sie die Waschutensillien vorbereitet. Es ist 08:30 Uhr. Sie informiert mich fortlaufend über ihre Schritte, zieht meine Hose aus und beginnt mich im Intimbereich zu waschen. Mittendrin klingelt ihr Telefon, es scheint eine Arbeitskollegin zu sein, welche kurz Unterstützung benötigt. Also deckt sie meinen Intimbereich ab und verschwindet. Ich warte, kann nichts anderes tun als warten.


Als sie zurückkommt entschuldigt sie sich und zieht mich untenrum wieder an. Transferiert mich in meinen Rollstuhl und bringt mich ans Lavabo. Während sie ziemlich rasch meinen Oberkörper wäscht, sagt sie mir, dass es heute Katzenwäsche gibt, da jemand ausgefallen sei. Sie übernimmt die komplette Waschung, obwohl ich gerne mein Gesicht selbständig waschen würde und auch noch könnte. Sie unterhält sich wenigstens ein wenig mit mir, während sie mich wäscht und anzieht. Ein wenig Kommunikation.


Sie bringt mich nach vorne in den Essbereich an meinen Tisch und ich erblicke ein bereits gestrichenes Brot, in kleine Stücke zerschnitten, Käse, Joghurt und einen Orangensaft. Dies hat sie bereits im Vorfeld vorbereitet, als noch alle Bewohner schliefen, weil während der Morgenpflege kaum Zeit dafür bleibt. Dabei hätte ich heute doch einmal Lust auf eine andere Confitüre gehabt. Naja vielleicht morgen. Sie reicht mir noch meine Medikamente, bringt mir einen warmen Kaffee und wünscht mir einen guten Appettit.


Ich sitze etwa eine Stunde vor meinem leeren Teller, hätte gerne einen zweiten Kaffee gehabt, jedoch habe ich kein Pflegepersonal mehr erblickt. Auch auf mein läuten hat keiner reagiert. Als dann ein anderer Bewohner hervorgebracht wird, kann ich mich melden und meinen Wunsch äussern. Ich kriege noch einen zweiten Kaffee.


Nach einer weiteren Stunde wird mein Tisch abgeräumt und bereits für das Mittagessen getischt. Ich sitze immer noch dort und trinke mein Wasser, was mir eingeschenkt wurde mit dem Spruch, dass ich genug trinken solle. Etwas später werde ich gefragt, was ich gerne essen möchte und ich wähle mir mein Menü aus, welches kurz darauf vor mir steht. Ich habe kaum Appettit, da ich erst vor zwei Stunden gefrühstückt und mich bis dahin kaum bewegt habe. Ich esse trotzdem auf, weil ich so erzogen wurde und im Krieg aufgewachsen bin.

Nach dem Mittagessen werde ich von 2 freundlichen Pflegerinnen ins Zimmer gebracht, auf die Toilette gesetzt und man wechselt mir meine Einlage, welche ich bis dahin eingestuhlt habe. Weil ich gesehen habe, dass das Personal wieder im stress ist und wusste das jemand ausgefallen ist, habe ich mich bewusst nicht für die Toilette gemeldet. Danach werde ich ins Bett gebracht und mache dort meinen 1 bis 2-Stündigen Mittagsschlaf.


Nach meiner Mittagspause werde ich sanft geweckt und gefragt ob ich Dessert und Kaffee möchte. Ich nicke und werde wieder an meinen Tisch im Essbereich gebracht. Dort esse ich Dessert und trinke meinen Kaffee. Die Post konnte erst nach dem Mittagessen geholt und verteilt werden, weswegen ich jetzt erst meine Zeitung bekomme. Ich schaue diese an, kann jedoch nur die Überschriften lesen, da meine Augen sehr schwach sind. Gerne würde ich mich mit dem Pflegepersonal über diese Themen in der Zeitung unterhalten. Diese sind jedoch zu sehr beschäftigt. Jemand unterstützt einen Mitbewohner bei der Nahrungsaufnahme, eine Pflegende sitzt im Büro und erledigt Administrative Aufgaben, zwei weitere nehmen noch die anderen Bewohner auf, machen Toilettenbegleitungen, füllen die Schränke in den Zimmern auf etc.


Ich weiss nicht ob ich heute Besuch erhalte. Manchmal kommt jemand, aber eher selten. Irgendwann wird dann das Dessert- und Kaffeegeschirr abgeräumt. Die Pflegende entschuldigt sich bei mir und informiert mich, dass sie heute leider absolut keine Zeit habe eine Runde draussen mit mir zu drehen oder ein Spiel zu spielen. Ich sehe es ihr an, dass es ihr wirklich leid tut und sie das sehr gerne machen würde. Dann wird der Tisch für das Abendessen gedeckt, bevor der Frühdienst geht und noch weniger Personal anwesend ist.


Die zwei welche nun noch anwesend sind müssen bereits einige Bewohner im voraus umziehen, damit sie nach dem Abendessen mit allem fertig werden und sich vielleicht auch ein wenig mehr mit uns Unterhalten können. Ich möchte wie viele andere auch direkt nach dem Abendessen ins Bett, da ich vom langen und ständigen am Tisch sitzen Schmerzen habe und Müde bin. Aber zuerst muss erstmal das Abendessen serviert werden. Ich hoffe das ich heute nicht der letzte bin, da das Essen irgendwann kalt wird. Wenn zwei Pflegende für 25 Bewohner das Abendessen servieren müssen, ist das nicht selten der Fall. Aber sie wechseln ein wenig mit der Reihenfolge ab, damit nicht immer diesselben die letzten sind. Sie versuchen das Beste aus der Situation zu machen.


Kurz nach beendigung des Abendessens um ca. 18:30 Uhr werde ich wieder von zwei Pflegerinnen auf die Toilette begleitet und für die Nacht vorbereitet. Ich werde umgezogen, frisch gemacht und ins Bett gebracht. Um 19:00 Uhr bin ich Bettfertig und sie wünschen mir eine gute Nacht. Ich schlafe direkt ein, wache jedoch zwei Stunden später wieder auf. Ich läute und frage, ob ich noch eine Schlafreserve erhalte. Diese bekomme ich und kann dann auch nochmals drei Stunden schlafen. In der Nacht schaut 3x die Nachtwache nach mir und diese dreht mich im Bett und kontrolliert meine Einlage, damit ich nicht Wund werde. Von den über 12 Stunden im Bett, schlafe ich vielleicht 6 Stunden. Die restlichen Stunden bin ich wach oder döse vor mich hin und warte darauf, bis am Morgen wieder jemand an meine Türe klopft und das ganze von vorne beginnt…

1 comentario

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Invitado
11 feb 2024

Ein sehr anschaulicher und treffende, empathische Dokumentation über herrschende, besorgniserregende Realität im Pflegealltag! Vielen Dank für die Mühe.

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