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Pflegenotstand: Ein Beruf am Limit

Autorenbild: Jan HoneggerJan Honegger

Der Pflegenotstand ist seit Jahren ein drängendes Thema und verschärft sich weiter. Seit der Annahme der Pflegeinitiative im Jahr 2021 hat sich die Zahl der monatlich etwa 300 Pflegenden, die aus dem Beruf aussteigen, kaum verändert. Auch die Arbeitsbedingungen haben sich vielerorts nicht spürbar verbessert: Pflegende leisten nach wie vor übermässig viele Überstunden, beginnen ihre Schichten oft unbezahlt früher, um den Arbeitsalltag bewältigen zu können, arbeiten in belastenden Schichtwechseln (z. B. Spät- auf Frühschicht), sind an bis zu vier Wochenenden pro Monat im Einsatz oder arbeiten sieben Tage am Stück mit nur vereinzelten freien Tagen. Hinzu kommen unzureichende Bezahlung, kaum Zeit für Patient:innen, Klient:innen oder Bewohner:innen und ein ständiges Einspringen bei Personalengpässen. Dabei liegt die Entscheidung, kurzfristig einzuspringen, alleine bei den Pflegenden – häufig zulasten ihrer Erholung und Gesundheit. Ich sage daher immer wieder: „Lernt Nein zu sagen, wenn ihr die Erholung braucht! Achtet auf euch selbst, denn ohne eure Gesundheit könnt ihr keine gute Pflege leisten.“


Eine weitere Herausforderung steht uns bevor: Der bevorstehende Ruhestand der Babyboomer-Generation, die bisher die Belastungen und Bedingungen in der Pflege ausgehalten hat. Ihr Weggang wird eine große Lücke im Gesundheitswesen hinterlassen. Die jüngeren Generationen legen mehr Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance und stellen berechtigte Forderungen an ihre Arbeitgeber. Dies führt zu einem „Temporär-Boom“, bei dem Pflegefachpersonen zunehmend über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt werden. Zwar profitieren Einzelpersonen von besseren Arbeitsbedingungen, doch für die Betriebe bedeutet dies höhere Kosten und neue Herausforderungen: Teams müssen sich immer wieder auf wechselnde Kolleg:innen einstellen, die Kommunikation wird aufwendiger, und vor allem in der Langzeitpflege dringen regelmässig fremde Personen in die persönliche Privatsphäre der Bewohner:innen ein.


Wie die angehängte Grafik zeigt, werden zudem viel zu wenige Pflegekräfte ausgebildet. Das liegt einerseits am negativen Image des Pflegeberufs und den schlechten Arbeitsbedingungen, andererseits aber auch an der unzureichenden finanziellen Unterstützung durch Bund und Kantone. Doch solange sich die Bedingungen an der Basis nicht verbessern, gleicht jede Investition in die Ausbildung einem Fass ohne Boden. Schon während der Ausbildung kündigen viele an, nach dem Abschluss in einen anderen Beruf wechseln zu wollen. Es ist keine Seltenheit, dass in einer Schulklasse nur drei von 20 Auszubildenden langfristig in der Pflege bleiben möchten. Dabei ist die Pflege – unter den richtigen Rahmenbedingungen – in meinen Augen der schönste Beruf, den es gibt. Ich habe das Glück, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem ich wieder Freude an der Pflege gefunden habe, obwohl auch ich früher mehrfach ans Aufhören gedacht habe.


Dennoch halte ich es für wichtig, realistisch über die Pflege zu sprechen, anstatt ein romantisiertes Bild zu verbreiten. Eine geschönte Darstellung führt nicht nur zu enttäuschten Berufseinsteiger:innen, die schnell wieder aussteigen, sondern auch zu unnötigen Kosten. Gleichzeitig muss betont werden, dass es in der Schweiz bereits Betriebe gibt, die das Beste aus der schwierigen Situation machen und die Arbeitsbedingungen aktiv verbessern. Einige nutzen interne Springerpools oder Lohnzulagen, um kurzfristige Ausfälle zu kompensieren, gehen auf individuelle Schichtwünsche ein oder halten sich konsequent an die Arbeitsgesetze.


Wir sollten uns an diesen Betrieben orientieren, von Bund und Kantonen mehr finanzielle Unterstützung einfordern und gezielt die Arbeitsbedingungen verbessern. Ausserdem müssen die Gewerkschaften und der Berufsverband National endlich zusammenarbeiten und die Pflegenden müssen für ihre Forderungen einstehen! Nur so kann ein Kollaps des Gesundheitswesens abgewendet werden. Andernfalls sehe ich schwarz für die Zukunft der Pflege.


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